Page 27 - VBKI-Spiegel #253
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                Auch hier seien die Unternehmen gefordert: „Gute Unterstüt- zung bei der Kinderbetreuung, aber auch in Fällen von Krankheit und Pflege haben schon einiges in die richtige Richtung bewegt. Die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit und Digitalisierung vieler Lebensbereiche hilft ebenfalls.“ Personalberaterin Brigitte Lammers rät außerdem, schon bei der Akquirierung des Nach- wuchses auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu achten. Der Anteil gut ausgebildeter Frauen, die aus Universitäten hervor- gehen, betrage etwa 50 Prozent des jeweiligen Jahrgangs. „Die Unternehmen sollten sich gerade im Einstiegsumfeld Mühe ge- ben, genauso viele Frauen an Bord zu holen, wie die Universitä- ten prozentual ausspucken.“
Spagat zwischen Familie und Beruf
Doch selbst wenn das gewährleistet ist, lässt sich der Jahre später einsetzende weibliche Brain-Drain immer noch nicht verhindern. Am häufigsten gehen die Talente den Unternehmen während der Familiengründungsphase verloren. „Es gibt vergleichsweise viele Frauen, die sich für einen längerfristigen Ausstieg entschei- den“, sagt Brigitte Lammers. „Der Wiedereinstieg gestaltet sich leider oft schwieriger als gehofft.“ Viele Frauen blieben deshalb in der Mitte ihre Karriere stecken. Das hat auch strukturelle Gründe: „Wir haben in Deutschland wenig bis gar keine Erfahrun- gen damit, auf Teilzeitbasis Führungspositionen zu füllen.“ Zwar greifen die Unternehmen teilweise tief in die Tasche, um ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Spagat zwischen Familie und Beruf zu erleichtern, gründen Betriebskindergärten und star- ten andere Hilfsmaßnahmen. „Trotzdem reicht das noch nicht“, sagt Lammers. „Da müssen wir weiter am Ball bleiben.“
Denn für die Familie komplett zurückstehen, die eigenen beruf- lichen Ambitionen gänzlich begraben, das ist für die meisten Frauen keine Option mehr. Zwar hält sich in der Debatte um fehlende weibliche Führungskräfte hartnäckig das Argument, es läge vor allem an den Frauen selbst. Sie verschmähten mehrheit- lich Macht und Verantwortung, würden sich zu selten um Füh- rungspositionen bemühen. Margret Suckale kennt das Argument, weist es aber zurück: „Es gibt aus meiner Sicht viele Frauen, die
‚wollen‘ und sich zu Recht einiges zutrauen.“ Dass Frauen ange- sichts neuer Herausforderungen gelegentlich kurz zögerten, müsse man außerdem keineswegs als Schwäche auslegen. Suckale fin- det es sogar eher positiv, „dass Selbstüberschätzung bei Frauen in der Regel weniger ausgeprägt ist. Das sollte ein Benchmark für eine gute Führungskraft sein, die zu ihren Fehlern und Schwä- chen steht.“
Zumindest eine positive Nachricht haben die neusten statisti- schen Auswertungen zutage gefördert. Zuwächse hat es in Deutschland laut IAB in den letzten Jahren zwar nicht auf der ersten, aber auf der zweiten Führungsebene gegeben. Auch hier flacht die Kurve schon wieder ab – aber immerhin ist seit 2004 der Frauenanteil um sieben Prozent gestiegen. 2016 lag er bei 40 Prozent. Brigitte Lammers geht davon aus, dass sich diese Ent- wicklung in absehbarer Zeit auch auf der ersten Führungsebene bemerkbar machen wird. „Die Unternehmen investieren viel Mühe, Führungskräfte auf die zweite Führungsebene hineinzu- entwickeln. Je mehr Frauen dort ankommen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen daraus die Geschäfts- führungs- und Vorstandspositionen speisen.“ Und längst sind die Frauen auf der zweiten Ebene nicht mehr nur im Bereich Per- sonal, Marketing und Controlling anzutreffen, sondern auch in Positionen, die mit operativer Verantwortung einhergehen. Ab- gesehen davon ändern sich derzeit auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Digitalisierung, der erhöhte Innova- tionsdruck und die Einführung agiler Strukturen zwingen die Un- ternehmen, sich neu zu erfinden. Lammers ist sich sicher: „Die Führungskultur wird sich verändern – und das verstärkt die Chancen von Frauen.“
Titelthema: Erfolgreich oder beliebt? I VBKI Spiegel # 253 26/27
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Über die Autorin:
Dr. Astrid Herbold, 45, schreibt als freie Journalistin über Kul- tur, Wirtschaft und Digitalisierung, u. a. für den Tagesspie- gel und ZEIT Online. Die promovierte Germanistin gehört selbst zu den Zugezogenen, nach Stationen in Bochum und Münster lebt sie mit ihrer Familie seit 16 Jahren in Berlin.
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