Page 53 - VBKI-Spiegel #253
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                 Darüber hinaus wird es ohne die Briten zusehends einsam um Deutschlands Bemü- hungen um fiskalische Disziplin im Euro- Rund. Die bislang bestehende Mehrheit stabilitätsorientierter Mitgliedstaaten brö- ckelt und das Risiko, von Staaten mit we- niger ehernen Grundsätzen in die Defen- sive gedrängt zu werden, steigt. Zudem wird Deutschlands Beitrag zum EU-Bud- get nach dem Wegfall der britischen Zah- lungen steigen.
Allerdings ist auch klar: Für eine große Mehrheit im Unterhaus ist ein ungeordne- ter Austritt aus der EU auch keine Alter- native. Aus Sicht der britischen Abgeordne- ten sprechen drei Argumente zugunsten des Deals: Er ermöglicht Großbritanniens Ausstieg aus der EU, er beendet die EU- Regelungen zur Freizügigkeit von Arbeit und besiegelt das Ende der jährlichen bri- tischen Zahlungen an Brüssel. Bei allen Nachteilen stellt der Deal eine finale Re- gelung des bilateralen Verhältnisses in Aussicht – und hält damit eine Grundlage bereit, auf der sich wirtschaftlich planen lässt.
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Aus anderer Sicht I VBKI Spiegel # 253 52/53
  Sir Peter Torry
© Businessfotografie Inga Haar
Eine Ablehnung des Plans wäre hingegen ein Sprung ins Ungewisse und würde wo- möglich Neuwahlen oder sogar ein zwei- tes Referendum nach sich ziehen. Insofern sind Mays Aussichten, das Abkommen durchs Parlament zu bringen, zwar nicht groß – aber doch größer als Null.
ruf nach Neuauflage
Was aber, wenn das Parlament den Deal dennoch ablehnt? Labour würde die Miss- trauensfrage stellen, um vorgezogene Neuwahlen zu erzwingen. Allerdings wäre eine Mehrheit hierfür unwahrscheinlich. Blieben drei Optionen: Ein ungeordneter Brexit, Neuverhandlungen mit der EU auf Grundlage eines korrigierten May-Deals (aber wer in der EU würde dem zustim- men?) oder ein neuerliches Referendum. Der Ruf nach einer Neuauflage wird der- zeit lauter, allerdings hat May diese Op- tion bislang kategorisch ausgeschlossen. Mittlerweile hat sie eingeräumt, dass es im Grunde nur drei Möglichkeiten gibt: ihren Deal, keinen Deal oder keinen Brexit. Letztere Option würde zwangsläufig ein zweites Referendum nötig machen.
Jüngste Umfragen deuten auf eine pro- europäische Mehrheit hin, sollte es zu ei- nem zweiten Referendum kommen. Schon deshalb lehnen die Brexit-Befürworter die- ses Szenario ab. Andere wiederum fürch- ten in einem solchen Fall den Ärger und Frust der Wähler, schließlich hat das briti- sche Volk seine Meinung bereits kundge- tan. Und selbst wenn ein zweites Votum zugunsten einer fortdauernden EU-Mit- gliedschaft ausfiele, würde sofort Rufe nach einem dritten Referendum laut. Das
Ergebnis wäre fortdauernde Unsicherheit – und ein sich weiter vertiefender Riss durch die britische Gesellschaft. Allerdings: Die- ser Riss liegt nun offen zutage und muss ohnehin angegangen werden. Und der nun zur Debatte stehende Deal unterscheidet sich so radikal von allem, was im damali- gen Referendum in Aussicht gestellt wor- den ist, dass sich eine abermalige Abstim- mung rechtfertigen ließe.
Ich denke, am Ende wird sich in London ausreichend „common sense“ finden, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Doch wie auch immer die Entscheidung des Un- terhauses ausfällt: Großbritannien ist weit davon entfernt, sich in das unabhängige, global ausgerichtete und frei agierende Land zu verwandeln, das vor dem Refe- rendum in Aussicht gestellt wurde.
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