Ein besseres Timing hätte der Foreign Policy Lunch mit USA-Experten Thomas Kleine-Brockhoff nicht haben können: Eine Woche nach den Midterms und ein Tag nach der erneuten Präsidentschaftsbewerbung von Donald Trump war alles angerichtet für eine spannende Diskussion. Mit Thomas Kleine-Brockhoff und dem Moderator Christoph von Marschall, Vorsitzender Ausschuss Internationale Politik und Wirtschaft im VBKI, ordneten gleich zwei USA-Kenner die Entwicklungen nach dem 8. November 2022 ein.
Die erste Einschätzung betraf die Ansage des 45. Präsidenten der USA, erneut für eine Präsidentschaft 2024 zu kandidieren, trotz der eher schmalen Erfolge der Republikaner bei den Midterms. Dass der Erfolg nicht größer ausgefallen sei, sei Donald Trump und seiner Unterstützung völlig ungeeigneter Kandidaten zuzurechnen. Dennoch benannte Kleine-Brockhoff Trumps Kandidatur als „nicht chancenlos“, schließlich bediene jener eine Form von Nostalgie und Populismus, die nicht nur in den USA gut gedeihe. Und einen Startvorteil gegenüber seiner ersten Präsidentschaftsbewerbung habe er sich erarbeitet: Nun könne er organisatorisch die Republikanische Partei besser nutzen als noch 2016. Auch wenn seine Adepten bei den Midterms durchgefallen seien, über Donald Trump könne man dies noch nicht sagen.
Die zweite Einschätzung galt Ron DeSantis, dem erfolgreich wiedergewählten Gouverneur Floridas. Für ihn gelte es gerade umgekehrt zu Trump: Nur weil er erneut im Sunshine State gewonnen habe, muss dies noch lange nicht bedeuten, dass er auch landesweite Wahlen gewinnen könne. Dabei könne DeSantis auf etliche Stärken zurückgreifen: Er sei ein Meister amerikanischer Kulturkämpfe, wie etwa beim Thema Migration. Er habe mit Latinos und der urbanen Mittelschicht Wählergruppen überzeugen können, die ansonsten stabil die Demokraten gewählt haben. DeSantis sei die erste seriöse Herausforderung für Donald Trump, ob er aber dessen Brutalität gewachsen sei, das sei noch offen.
Die dritte Einschätzung betraf das Ergebnis der Wahlen in Gänze. Der Wahlausgang deute darauf hin, dass US-Amerikanerinnen und Amerikaner sehr nuanciert von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben. Sie hätten sich die Kandidatinnen und Kandidaten für die verschiedenen Ämter sehr genau angeschaut und dementsprechend gewählt. Und so sei es gekommen, dass zwar Biden nicht beliebt ist, aber beliebter ist als Trump, dass die Wahlen in Gänze aber kein Votum für eine demokratische Agenda ausdrücken. Dass DeSantis eine hohe Zustimmung von Latinas und Latinos erhalten habe, sei ein gefährlicher Trend für Demokraten. Er sei auch ein Warnhinweis für die Demokraten, dass ein Generationenwechsel längst überfällig sei. Bei aller Wertschätzung für Joe Biden (80 Jahre), Nancy Pelosi (82 Jahre) oder Chuck Schumer (72 Jahre) benötigen die Demokraten doch einen Spitzenkandidaten für die Präsidentschaftswahlen, die die jungen Wählerinnen und Wähler anspreche, denen die Demokraten das sehr gute Abschneiden bei den Midterms zu verdanken habe. Ob ein fast 82-jähriger Joe Biden der Jugendlichkeit eines Ron DeSantis bei den Präsidentschaftswahlen 2024 gewachsen wäre, sei zu bezweifeln.
Zum Schluss: Was bedeuten die Wahlen für die deutsche Politik? Vor allem die Notwendigkeit, sich stärker für die Ukraine zu engagieren – militärisch, politisch, finanziell. Dass US-amerikanische Steuerzahlerinnen und Steuerzahler für einen Krieg aufkommen sollen, der hauptsächlich die europäische Sicherheit betrifft, werden weder die Demokraten noch die Republikaner auf Dauer dem Wahlvolk in den USA vermitteln können oder wollen. Und Deutschland sollte ein eigenes Interesse haben, diesem Wunsch zu entsprechen und Joe Biden unterstützen. Eine Wiederwahl Trumps wäre eine Wegscheide für Deutschland – vor allem keine gute!