Sie sind nicht alleine. Mit Ihnen ärgern sich täglich hunderttausende Menschen über verstopfte Einfallsstraßen nach Berlin oder wünschten sich, sie wären eine Ölsardine, um die überfüllten S-Bahnen oder Regionalexpresse besser ertragen zu können.
Die Pendlerströme zwischen den Innenbezirken Berlins und dem Speckgürtel wachsen mit einem Tempo, das auf den Verbindungen in die und aus der Stadt äußerst selten möglich ist. Täglich strömen 180.000 Menschen aus Berlin heraus und 310.000 von Brandenburg in die Stadt hinein. Täglich.
Das ist heute schon zu viel für die überlasteten Verkehrswege und wird morgen und übermorgen erst recht zu viel sein. Denn zwei Trends sind ungebrochen: Zum einen zieht es immer mehr Menschen nach Berlin, zum anderen drängt es immer mehr Menschen in die Randlagen – auch und gerade, weil sie sich die Innenstadt nicht mehr leisten können oder wollen.
Leider ist der Ausbau des länderübergreifenden Verkehrsnetzes über Jahre und Jahrzehnte stiefmütterlich behandelt worden. Gründe für dieses Versäumnis gibt es zahlreiche: die deutsche Teilung, die über Jahre hinweg leeren Berliner Kassen und – last but not least – die fehlende Einigkeit zwischen beiden Ländern in den inzwischen 28 Jahren Nachwendezeit. Der politische Wille zum gemeinsamen Handeln fehlte, solange sich die Probleme noch irgendwie umschiffen und kleinreden ließen. Diese Zeiten sind gottlob vorbei, im Frühjahr haben beide Länder die gemeinsame Schienenverkehrsplanung mit dem Projekt i2030 in Angriff genommen – Ergebnis ist auch ein neuer Landesnahverkehrsplan für die Brandenburg, eng abgestimmt mit Berlin, der vor wenigen Wochen vorgestellt wurde.
Mehr Züge, dichtere Taktung, Ausbau des Streckennetzes – vieles, was in diesem Plan steht, ist gut und richtig. Doch so begrüßenswert die Inhalte sind, so problematisch ist der Titel des Papiers, genauer, das Wörtchen „Plan“. Denn wer die Vorlaufzeiten für große Infrastrukturprojekte kennt – und der Ausbau des SPNV- und ÖPNV-Netzes ist ein solcher Kraftakt – weiß: Mit guten Absichten und smarten Plänen ist es heute nicht mehr getan. Die Zeit drängt, wir müssen nun schleunigst in die Tat umsetzen, was im Grunde schon vor zehn Jahren hätte in Angriff genommen werden müssen. Schalten wir die Ampel auf Grün!
Wenn wir den Verkehrsinfarkt in der Metropolregion verhindern wollen, muss 2019 zum Jahr der Entscheidungen werden. Das gilt vor allem für lang diskutierte (und zerredete) Projekte zum Ausbau des Schienennetzes: Es ist dringend notwendig, die 1945 stillgelegten Stammbahnstrecke zwischen Potsdam, Kleinmachnow und Berlin zu reaktivieren. Auch der Dornröschenschlaf der Heidekrautbahn, die das nordöstliche Berliner Umland – Schildow, Mühlenbeck, Basdorf, Wandlitz – erschließt, sollte lieber heute als morgen enden. Eine entschlossene Hand haben auch die Pläne zum S-Bahn-Ausbau verdient.
Noch ein Pluspunkt: Mit dem Gewicht von zwei Bundesländern im Rücken ließe sich mehr Druck auf die Betreiberunternehmen ausüben. Wer bei Google im Newsbereich die Suchbegriffe „S-Bahn“ und „Berlin“ eingibt, erhält eine lange Liste von Schlagzeilen, die regelmäßig die Wörtchen „Verspätung“ oder „Ausfälle“ enthalten. Ein Trauerspiel, das so nicht weitergehen kann. Schärfere Verträge, etwa mit eindeutig definierten Bonus- und Malusregeln, müssen künftig das Geschäftsverhältnis zwischen den Ländern und den Verkehrsunternehmen regeln.
Ich bin überzeugt: Wenn es uns trotz überlasteter Verwaltungen und fehlender Planungskapazitäten gelingt, den Roll-out eines gemeinsamen Schienenausbaukonzeptes jetzt mit dem nötigen Elan anzugehen, bieten sich enorme Chancen: Nicht nur die wachsende Zahl leidgeprüfter Pendler, sondern auch Umwelt, Wirtschaft und Arbeitsmarkt würden profitieren. Entlastung winkt dann auch dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt. Viele werden sich fragen: Warum teure Innenstadtmieten zahlen, wenn man schnell, stressfrei und ohne Ölsardinen-Gefühl ins grüne brandenburgische Umland pendeln kann.
Der Beitrag wurde am 26.9.2018 im Tagesspiegel veröffentlicht.