Nicht nur in Brüssel und Karlsruhe, sondern auch in Hörsälen, Medien und anderen öffentlichen Foren wird über die Zukunft der gemeinsamen Währung gestritten. Auch beim VBKI tauschen die Lager der Verteidiger und Kritiker der gegenwärtigen Eurorettungspolitik Argumente aus. Vor rund 200 Zuhörern lief die von Thilo Sarrazin moderierte Diskussion (18. Juni) auf die Frage hinaus: Wer traut den südeuropäischen Krisenländer zu, wieder auf die Beine zu kommen – und wer nicht?
Nach der thematischen Einführung durch VBKI-Präsident Markus Voigt verbreitete Holger Schmieding Optimismus. Der Chefvolkswirt der Berenberg Bank verwies auf eine OECD-Studie, nach der Länder wie Griechenland, Irland, Spanien und Portugal weltweit zu den reformfreudigsten zählen. In Griechenland beispielsweise seien die Lohnkosten zuletzt kräftig gesunken, die Ausfuhren hingegen gestiegen. Die Situation sei ähnlich wie im England der Thatcher-Jahre oder in Deutschland zu Zeiten der Agenda-Politik – hier wie dort folgte auf Rekordarbeitslosigkeit und Rezession ein Wiedererstarken der Wirtschaft. „Jetzt heißt es Kurs halten und den Anpassungsprozess fortsetzen.“
Jürgen Stark ist da skeptischer. Um den Reformen durchzusetzen und wieder wettbewerbsfähig zu werden, braucht es nach Ansicht des ehemaligen Chefvolkswirts und Mitglieds im Direktorium der EZB vor allem drei Dinge: „Einen starken politischen Willen, eine entschlossene Führung und einen breiten gesellschaftlichen Konsens.“ Er habe Zweifel, dass diese Voraussetzungen in den betroffenen Ländern gegeben seien.
Zweifache Krise
In das gleiche Horn stößt Prof. Philipp Bagus. Der in Madrid lehrende Anhänger der österreichischen Schule sieht in den Krisenländern keinen wirklichen Reformwillen. In Spanien beispielsweise seien die Schulden seit Beginn der Krise weiter gestiegen, das virulente Bankenproblem von einer Lösung weit entfernt, die Arbeitslosigkeit – besonders unter den Jugendlichen – grassierend. „Und dabei hat Spanien eine stabile Regierung.“
Der dritte in der Meinungsfront der Euro- und EZB-Kritiker ist Prof. Bernd Lucke. Der Volkswirt (Universität Hamburg) und Mitbegründer der „Alternative für Deutschland“ zweifelt daran, dass die Krisenländer dem doppelten Problem – Überschuldung und fehlende Wettbewerbsfähigkeit – noch Herr werden können. „Diese Länder sind damit überfordert, diese zweifache Krise in den Griff zu kriegen.“ Zudem gehe für die betroffenen Staaten durch die Rettungspolitik der EZB jeglicher Anreiz verloren, die nötigen Strukturreformen durchzuführen und die Schulden abzubauen. Der Ansatz „Hilfe gegen Auflagen“ werde durch das „Sicherheitsnetz“ der EZB-Garantie konterkariert. „Das ist ein Freibrief für fiskalisch unsolides Handeln“, so Lucke.
Zombiebanken, Altersvorsorge unter Druck?
Auch für Jürgen Stark ist kann der gegenwärtige Kurs der EZB nicht „gesund sein“. Die unerwünschten Effekte der über Jahre praktizierten Liquiditätsschwemme führen nach seiner Ansicht zwangsläufig zu unerwünschten Nebeneffekten – beispielsweise durch sogenannte „Zombiebanken“. Auch die private Altersvorsorge leide bereits massiv unter den niedrigen Zinsen. „Politik und Märkte sind abhängig von den Zentralbanken, sie sind zu mächtig“, sagte Stark. Über kurz oder lang drohe Inflation, wenn die Zentralbanken zu viele Aufgaben übernähmen. Das habe die Geschichte gezeigt.
Holger Schmieding hingegen warb für mehr Vertrauen gegenüber der EZB und ihrer gegenwärtigen „unkonventionellen Geldpolitik.“ Schmieding: „Gemessen an den Ergebnissen ist das, was wir aus Frankfurt bekommen, nicht schlecht“. Die EZB habe nur in geringem Umfang Anleihen gekauft, das sei Preisniveau stabil, der Lohndruck normal. Eine Blasenbildung auf den Aktien- oder Immobilienmärkten könne er im Eurogebiet auch nicht feststellen. Nach Ansicht des Wissenschaftlers spricht vieles dafür, am bisherigen Ansatz der Rettungspolitik festzuhalten. Zumal die Alternative, das gemeinsame Währungsgebiet aufzulösen, für Deutschland verheerende Folgen hätte: „Ein Zerplatzen des Euros würde Deutschland an den Rand eines Staatsbankrotts führen.“
Die übrigen Diskutanten sind sich da nicht so sicher. Jürgen Stark macht sich für einen zeitweiligen Austritt der Krisenländer aus dem gemeinsamen Währungsgebiet stark. Jenseits der Eurogrenzen müsse dann der Anpassungsprozess erfolgen, gerne auch mit externer Hilfe. Für Stark ist die Abkehr vom Maastricht-Regime mit seinen strengen Anforderungen an die Verschuldung der Staaten der zentrale Wegbereiter der heutigen Krise. „Wir sind damals mit zu vielen Staaten gestartet und haben dann zu rasch erweitert.“
Bernd Lucke meint, die Kosten für die Erhaltung des gemeinsamen Währungssystems in seiner jetzigen Form seien höher als die Kosten, die durch eine Auflösung des Euros entstünden. Dabei verweist er insbesondere auf die hohe Arbeitslosigkeit im Gefolge der Rezession in den Krisenländern. Ein gemeinsames Währungsgebiet könne es weiterhin für jene Staaten geben, „die mithalten können“ – etwa Deutschland, Frankreich und Benelux. Alle übrigen sollten den Euroraum verlassen. Eine gemeinschaftliche Haftung für andere Staaten dürfe es nicht geben.
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