„Ich mache mir Sorgen um unser Land“

Der Außenpolitik-Experte Christoph von Marschall über die Rolle Deutschlands in der Welt

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Foto: Businessfotografie Inga Haar

Zumindest inhaltlich war es kein Stimmungsaufheller an einem tristen Herbsttag – aber das sind Realitätchecks ja ohnehin selten. Was Christoph von Marschall, Tagesspiegel-Journalist und Autor des Buches „Wir verstehen die Welt nicht mehr“ über die Perspektiven Deutschlands zu sagen hatte, machte nachdenklich.

Beim Foreign Policy Lunch des VBKI vermaß der langjährige Beobachter der internationalen Beziehungen die Rolle Deutschlands in der Welt. Quintessenz des Buchautors: „Ich mache mir Sorgen um unser Land.“ Schon seit Jahren laufe etwas falsch in Deutschland, sagte er im Gespräch mit VBKI-Geschäftsführer Udo Marin. International zeige man kaum noch eigenes Profil, sondern verlasse sich zu sehr auf den Schutz und den Rückhalt durch internationale Organisationen wie etwa der Nato. Dabei sei eigenständiges Handeln und eine aktive Außenpolitik heute wichtiger denn je. Schließlich sei Europa von zahlreichen Krisenherden umgeben – und auch auf dem internationalen Parkett – beispielsweise im Welthandel – werde zunehmend mit härteren Bandagen gekämpft.

Vor diesem Hintergrund sei Zurückhaltung die falsche Devise, das Land brauche eine Außenpolitik, die sich an der Realität orientiere und die Interessen Deutschland widerspiegele. Deutschland glänze vor allem durch Schwäche. Geopolitisch sei Deutschland beispielsweise gegenüber Russland schon allein deshalb im Hintertreffen, weil eine glaubwürdige Abschreckung nicht existiere. Glaubwürdigkeit in diesem Zusammenhang bedinge nicht notwendigerweise Aufrüstung, aber zumindest die Infrastruktur müsse in unserem Land so ertüchtig werden, dass sie im Falle eines militärischen Konfliktes funktionstüchtig wäre. Derzeit – und das wisse man in Russland ganz genau – gäbe es zahlreiche strategisch wichtige Brücken im Land, die zusammenbrechen würden, wenn ein Panzerzug hinüberrollen würde.

Auch mit Blick auf China plädierte der Außenpolitik-Experte für eine selbstbewusstere und aktivere Politik. Trump sei politisch sicherlich kein Vorbild für Deutschland, aber mit seinem selbstbewussten und auch robusten auftreten gegenüber dem Land der Mitte habe er den Finger in eine Wunde gelegt. Insgesamt gäbe es wesentlich mehr Überschneidungen mit der politischen Ausrichtung der Trump-Administration, als allgemein kolportiert. Sowohl Trump als auch die Bundesregierung wollen den Bau von Raketen im Iran verhindern und gegenüber China auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben. „Es gibt keine Zieldifferenz. Es gibt eine Mitteldifferenz“

Deutschland müsse sich insgesamt wieder mehr engagieren, einsetzten und international Verantwortung übernehmen, sagte von Marschall. Laut dem Journalisten könnte die deutsche Außenpolitik schon mit einigen Umdrehungen an wichtigen Stellschrauben wesentlich effektiver werden. Insbesondere gelte es, die Interessen der europäischen Partner in deutsche Positionen einzubeziehen. Das Potenzial, voranzugehen, sei grundsätzlich vorhanden. „Aber es ist schwierig zu führen, wenn keiner folgt“.